Theaterstück von René Pollesch
Uraufführung und Premiere 7 Dezember 2011 im Akademietheater
Mit: Margit Carstensen, Catrin Striebeck, Stefan Wieland, Martin Wuttke
Regie: René Pollesch
Liebling, dieses Wort von der Tragödie, das behauptet doch die ganze Zeit, dass es so etwas wie eine Gemeinschaft gäbe. Dass wir uns auf die großen Tragödien der Menschheit einigen könnten. Aber nein, das was hier vor dir steht ist die Tragödie. Und einigen müsste man sich darauf, dass es den Dialog nicht gibt. (Akademietheater)
Kritiken
Wiener Zeitung (Hans Haider): Woody Allen andersrum – Der Frankfurter Theaterwissenschafter Hans-Thies Lehmann, den Pollesch als Lehrer verehrt, erfand das Etikett „postdramatisches Theater“. Das verweigert sich konventionellem Geschichtenerzählen, sperrt sich also gegen Nach- und Weitererzählbarkeit – und damit gegen die Erfolgsstrategie der Kulturindustrie. … seine Textkaskaden und Bildfantasien in Spielfilmlänge von 90 Minuten fußen auf einem Welterfolg von Woody Allen als Intellektuellen-Entertainer: „Sweet and Lowdown“ (1999) … Der Star im Kostüm von Nijinsky und Nurejew, doch mit Bocksfüßen von Kothurnhöhe: Martin Wuttke. Eine absurde Nummer, bei der Debussys weihevolle Musik jedes Loslachen blockiert. … Das wäre im Sezierstudio einer Theaterakademie besser aufgehoben als im Repertoire des Akademietheaters.
Der Standard (Ronald Pohl): Die Rätsel der Liebe im Redemeer – Halb famoser Schwank, halb Seminar … Begriffe wie „Tragödie“, „Krise“, „Katastrophe“ oder „Liebe“ sind die eigentlichen Hauptdarsteller in diesem Texttheater … Trotzdem badet man warm und weich in ihm: Man fühlt sich erquickt und gekräftigt, das Zuhören macht Spaß … Verdienter Applaus für alle Beteiligten.
Die Presse (Norbert Mayer): René Pollesch lässt lauter Luft ab – Das Stück „Die Liebe zum Nochniedagewesenen“ ist erbärmlich und wird im Akademietheater auch erbärmlich gespielt. Nur die Souffleuse hat Klasse. … Die Vorstellung dauerte 85 Minuten und 69 Sekunden. Sie war grässlich, so erbärmlich wie die riesige, verknotete, knallgelbe Plastikwurst, die im Verlauf des Stückes auf- und abgeblasen wurde und die Bühne dominierte. Achtung, Symbol! Vorsicht, Ironie! René Pollesch lässt diesmal lauter Luft ab.
Salzburger Nachrichten (Julia Danielczyk): Der Knotenversteher – Uraufführung. René Pollesch lieferte im Akademietheater mit „Die Liebe zum Nochniedagewesenen“ seine bisher schwächste Arbeit ab. … Radikale Postdramatik pur, von einem Stück mit klassischen Darstellungsweisen kann hier nicht die Rede sein: Die Schauspieler verkörpern keine Figuren, sondern sind vielmehr Diskursarbeiter zwischen Theater-, Film- und Fernsehformaten. … Als Faun bewegt sich Wuttke über die von einer riesigen, aufblasbaren Plastikskulptur blockierten Bühne. Es ist der (gordische) Knoten, den es zu zerschlagen gilt, doch bei genauem Hinsehen präsentiert sich dieses gelbe Spielzeug für Bühnenbildner (Bert Neumann) und Theaterleute als Gehirnwindung, in welcher sich die vier Darsteller wälzen bzw. in die sie mit Stirnlampe ausgerüstet hineinkriechen. … Logorrhoeartig leihen die Akteure den Gedankenflüssen die Stimme, um den Diskursen diskursiv zu begegnen, szenisch aber versagt der Vielproduzent Pollesch.
ORF (Sophia Felbermair): Das „andauernde Stockholm-Syndrom“ – Rene Polleschs jüngstes Stück, das am Mittwochabend im Akademietheater Premiere feierte, widmet sich dem Zwischenmenschlichen und der Suche nach dem Knoten, der Menschen zusammenhält – oder auch trennt. … Ob [die Liebe schlechthin] nun nur als Austausch von Viren und Bakterien besteht, sich in einem „andauernden Stockholm-Syndrom“ manifestiert, irgendwo zwischen Tragödie, Katastrophe und Krise umhergeistert – oder ob die Liebe doch der „wahre Ort eines Uns“ ist, bleibt dabei als Verhandlungsgegenstand ungeklärt.
Die Welt (Ulrich Weinzierl): Verschlingung des Hirns – Denn Pseudotiefsinn und Hysterie verbinden sich bei René Pollesch in der Regel mit dem Aberwitz methodischen Wahns, gerne veranstaltet er, wenn das Hochgestochene aufs Banale trifft, einen Super-GAU der Logik. … Was Pollesch durch die Rübe rauschte und wir zu hören bekommen, nannte der selige Fritz von Herzmanovsky-Orlando „akuten Wortsalat“. Obendrein sehr lustlos angerichtet und serviert. … Bloß weil er uns früher verlässlich zum Lachen gebracht hat, sind wir milde gestimmt: René Pollesch ist ein ehrenwerter Mann. Aber jetzt möge er sich und uns eine Kunstpause gönnen.
dradio (Michael Laages): Emotionale Utopie auf der Bühne – Ein typisch Stück von Pollesch. … Ray lebt mit Hetty zusammen, und deren monologische Momente über den Widerspruch zwischen „Liebe“ und „MiteinanderReden“ gehören zu den funkelnden Miniatur-Motiven im Gardinenmuster. … Niemand muss sich all zu viel dabei denken, nur ab und zu ergeben sich schlüssige gedankliche Verbindungen zwischen Text, Bild und Spiel – unzusammenhängende Zusammenhänge zusammenzuhängen: Das bleibt Polleschs Methode. … Die Neuerung, die sein Spiel-Stil einstmals mit sich brachte, ist nach unablässigem Gebrauch lange schon keine Bereicherung mehr.
Links
Im Interview mit der Wiener Zeitung sagt René Pollesch: „Wir machen anti-repräsentatives Theater“ und weiter zu Theorie am Theater und unter Bezug auf Foucault: „Theorien wären demnach Sehhilfen für die Wirklichkeit. Im Idealfall befreie ich mich bei einer spezifischen Fragestellung mit Theorie von moralischen Reflexen und psychologischen Neutralisierungen – und nehme eine neue Perspektive ein.“
OE1 gibt einen Ausblick auf diese Aufführung: „Margit Carstensen, die berühmte Fassbinder- und Schlingensief- Schauspielerin, ist diesmal mit dabei, Catrin Striebeck und natürlich Martin Wuttke gehören schon länger zur Pollesch-Clique. Zentrum ihrer Diskussionen ist die Möglichkeit der Tragödie, die für Pollesch einmal Sinnzusammenhang stiftete, aber heute nicht mehr möglich sei, warum man das „Nochniedagewesene“ herbeispricht.“
René Pollesch bloggt auf Posterous.