Endstation Sehnsucht

Theaterstück von Tennessee Williams

Premiere 28 Jänner 2012 im Burgtheater

Mit: Dörte Lyssewski (Blanche), Katharina Lorenz (Stella), Nicholas Ofczarek (Stanley), Dietmar König (Mitch), Petra Morzé (Eunice), Juergen Maurer (Steve), Marcus Kiepe (Pablo), Rudolf Melichar (Ein Arzt), Dunja Sowinetz (Eine Krankenschwester), Daniel Sträßer (Ein junger Kassierer)

Regie: Dieter Giesing

Blanche Dubois muss die Versteigerung des einstmals stolzen Familienbesitzes und die Auflösung ihrer bisherigen Existenz mit ansehen und flüchtet sich zu ihrer Schwester Stella nach New Orleans. Dort gerät die neurotische, dem Alkohol verfallene Southern Belle sofort in Konflikt mit ihrem Schwager, Stanley Kowalski, einem Arbeiter, der die alte Südstaaten-Aristokratie genauso verachtet wie Blanche die Manieren polnischer Einwanderersöhne. Der virile Stanley fürchtet bald um seine Ehe und sein Zuhause, das seit Blanches Ankunft erheblichen Erschütterungen ausgesetzt ist. Mit roher Gewalt macht er sich daran, die Illusionswelt seiner Schwägerin Stück für Stück zu zerstören. (Inhalt Burgtheater)

Nicholas Ofczarek (Stanley), Dörte Lyssewski (Blanche) - (c) Reinhard Werner / Burgtheater

 

Kritiken

Die Presse (Norbert Mayer): „Endstation Sehnsucht“ als großes Solo – Dieter Giesing hat das Südstaaten-Drama von Williams präzis analysiert. Er richtet es stark auf Blanche aus. Dörte Lyssewski verkörpert diese Rolle vielschichtig, glanzvoll – der Star in einem starken Ensemble. … [Giesing] erweckt trotz zweier Ventilatoren hoch an der Decke und geschmeidiger Jazzmusik nicht Südstaaten-Schwüle, sondern analysiert den Untergang einer einst wohlhabenden Frau, die mittellos ins mittlere Alter kommt, mit kalter Präzision – hier ist eine mustergültige Inszenierung gelungen, die sich auf das Wesentliche und die Hauptdarstellerin konzentriert. … Die aber ist tatsächlich eine Wucht. Dörte Lyssewski spielt Blanche DuBois mit so großer Überzeugungskraft, dass man diese Figur hassen und lieben, über sie lachen und weinen kann. … Nicholas Ofczarek spielt diesen Vertreter der Arbeiterklasse als echten Proleten. … Ofczarek gelingt dabei ein Kunststück. Die Bühne ist riesig, doch wenn er aufdreht, wenn er Frauen und Freunde mit Wucht attackiert, an der Rampe die Sau rauslässt und die Wampe präsentiert, bekommt man Platzangst.

Kurier (Michaela Mottinger): Schauspielkunst vom Feinsten – Gezeigt wurde exquisites Schauspielertheater, das von der Regie so gut wie nicht gestört wurde … Es soll einer Aufführung allerdings andererseits nichts Schlimmeres passieren, als dass sie als schöner, solider Abend zu preisen ist … Giesing verlässt sich auf die Kraft seiner Schauspieler. Und die ist zum Glück im Übermaß vorhanden. Dörte Lyssewski als Blanche und Nicholas Ofczarek als Stanley gewinnen ihren Figuren Facetten ab, wie man sie so noch nie gesehen hat.

Der Standard (Ronald Pohl): Hitzebad auf mittlerer Herdstufe – Dieter Giesings Inszenierung von „Endstation Sehnsucht“ liefert Schauspielertheater auf höchstem Niveau … Blanche lebt aus dem mitgebrachten Koffer, ansonsten aber von der Hand in den Mund: Lyssewski spielt das mit dem geschäftigen Ernst einer unvollständig Emanzipierten, indem sie die Figur von aller Hysterie reinigt. … Regisseur Dieter Giesing hat Tennessee Williams‘ größten Dramenwurf heruntergekühlt, ihn quasi auf mitteleuropäische Betriebstemperatur gebracht. … Die beinahe reptilische Gewalt Ofczareks, der in selbsterzeugten Bierfontänen badet wie ein böser Faun, ist jedes Lob wert. … Der freundliche Applaus dankte einer Inszenierung, mit der man gut, vielleicht aber auch allzu gemütlich leben kann.

Kleine Zeitung (via APA): „Endstation Sehnsucht“ mit Zielbahnhof Lyssewski – Am Wiener Burgtheater wird der Klassiker „Endstation Sehnsucht“ dabei zum regelrechten Solostück für Dörte Lyssewski. Lyssewski spielt als Blanche mit südlich-derbem Tonfall und ebenso schweren Locken wie Akzent ihre Schauspielerkollegen an die Wand. In aller Überreiztheit scheint stets die überaus große Fragilität aus der alternden Südstaatenschönheit mit Alkoholproblemen. … [Ofczarek ] umschifft jegliche Vergleiche mit Brando und legt seinen Stanley als prototypischen US-Unterschichtler an, als Urviech, das kurz vor der Explosion steht. … Giesing behält die Dialoglastigkeit von „Endstation Sehnsucht“ bei, gibt neben der Textfülle im spartanischen Loft nur wenig Raum für deutende Bilder, sondern verlässt sich zu Recht auf seine Schauspieler und die bittere Ironie des Stoffes.

Wiener Zeitung (Hilde Haider-Pregler): Schicksalsphase einer Frau – in einer subtil ziselierten, die Atmosphäre der 50er Jahre spiegelnden Inszenierung, schlichtweg ideal besetzt mit Dörte Lyssewski und Nicholas Ofczarek. … Dörte Lyssewski zeigt mit unüberbietbarer Intensität die letzte Schicksalsphase einer Frau, die mit der Lebensrealität und dem Älterwerden nicht zurechtkommt. Zunächst hält sie, stets auf perfektes Jungmädchen-Styling bedacht, vor Schwester und Schwager mit geziertem Charme die Fassade aufrecht, verstrickt sich aber zusehends in Lügen. … Ofczarek zeigt [Stanley Kowalski] als geradlinigen, seiner Virilität bewussten, aber nicht den Sex-Protz hervorkehrenden Mann, der seine Frau wirklich liebt, wenn auch auf Macho-Art. Wenn er allerdings ausrastet, sobald ihm das feine Getue zu viel wird, tobt er seine Wut nicht nur am Mobiliar aus.

ORF (Gerald Heidegger): Niemandem ist zu trauen – Für die Wiener Burgtheater-Inszenierung entschied sich Regisseur Dieter Giesing fürs leichte Spiel: Er ließ vier großartige Schauspieler gewähren – und dachte Elia Kazans Verfilmung des Klassikers ein paar ironischen Pointen zu. … Lyssewski […] exponiert sich auf vielen Ebenen an diesem Abend und zeigt mitunter auch so viel von der Zwischenebene zwischen Kleidung und Seele, dass man bei den vielen Bade- und Anziehszenen zwischen Milchglas und Plastikvorhang gerne einmal wegschauen möchte. … Ofczarek reizt sie mit geschickter Dosierung zum schrittweisen Wahnsinn. Anders als Brando ist er weniger der soziale Komplett-„Predator“ als jener Machttypus, der einem auch in der maskulinen Kultur des goldenen Wiener Herzen entgegenkommt: mit aller Macht (und Mut durch Alkohol) den Status quo erhalten. … Das Publikum feierte an diesem Abend eine schauspielerische Gesamtleistung, wobei sich Dietmar König mehr Beachtung im Dreigestirn Blanche – Stella – Stanley verdient hätte.

Weiterführendes

Der Kurier spricht mit Dörte Lyssewski und Nicholas Ofczarek über das Stück. Ohne sich Fragen nach „neu, heutig, richtig, anders“ zu stellen, „ohne vorgefertigte Bilder im Kopf“, ohne ein „Wie-man-sich-das-so-vorstellt“ zu bedienen, wollen sich Lyssewski und Ofczarek ihren Rollen nähern.

In OE1 meint Giesing über die Figur des Stanley, die Marlon Brando im Film ‚A Streetcar Named Desire‘ (siehe unten) berühmt gemacht hat und die Giesings Lieblingsfigur in diesem Stück ist: „Der ist nicht nur brutal, sondern von ziemlich klaren Verstand“ und den brauche er, um in der Proletariergesellschaft zu überleben. „Er sieht von Anfang an die Bedrohung, die die Blanche bedeutet.“

Die OÖNachrichten berichten über die Aufführung: Das Hauptinteresse gilt nicht der Konfrontation der durch den ungehobelten polnischen Einwanderersohn repräsentierten Arbeiterklasse mit der zerbröckelnden alten Südstaaten-Aristokratie, der Stanleys Frau Stella und ihre Schwester Blanche DuBois angehören, sondern dem Aufeinanderprallen unterschiedlicher Lebensstrategien. „Wenn du in dieser Wettbewerbs-Welt die Nase vorn behalten willst, musst du an dein Glück glauben“, zitiert Giesing Stanleys Credo, das ideal in die heutige kapitalistische Ellbogengesellschaft zu passen scheint.

Über das Stück bei Wikipedia.

Film ‚A Streetcar Named Desire‚ (1951) mit Vivian Leigh, Kim Hunter, Marlon Brando, Karl Malden, Regie Elia Kazan – 4 Oscars (IMBd, Sparknotes, Trailer auf YouTube).