Der Alpenkönig und der Menschenfeind

Theaterstück von Ferdinand Raimund

Premiere 29 September 2012 im Burgtheater

Mit: Johannes Krisch (Astragalus, der Alpenkönig/Christian Glühwurm, ein Kohlenbrenner), Cornelius Obonya (Herr von Rappelkopf, ein reicher Gutsbesitzer), Regina Fritsch (Sophie, seine Frau/Marthe, Christian Glühwurms Weib), Liliane Amuat (Malchen, seine Tochter aus dritter Ehe/Salchen, Christian Glühwurms Tochter), Peter Miklusz (August Dorn, ein junger Maler/Franzl, Salchens Bräutigam), Stefanie Dvorak (Lischen, Malchens Kammermädchen/Hund in der Köhlerhütte), Johann Adam Oest (Habakuk, Bedienter bei Rappelkopf/Christian Glühwurms Großmutter), Dietmar König (Herr von Silberkern, Sophies Bruder),
Dunja Sowinetz, Dietmar König, Gerhard König, Willfried Kovarnik (Dienerschaft im Hause Rappelkopf)

Regie: Michael Schachermaier

Der reiche Gutsbesitzer Herr von Rappelkopf wähnt sich verraten von der Welt und zieht sich mit seiner Familie und der Dienerschaft auf ein von der Gesellschaft isoliertes Landgut in den Alpen zurück. Rappelkopf wird zum Misanthrop.

Jenen, die ihn lieben, macht er das Leben zur Hölle. Zugleich verhindert dieser Menschenfeind mit allen Mitteln die Liebe, wo sie neu erblüht. Astragalus, der Alpenkönig, die fabelhaft-lustvolle Naturgewalt, will das nicht länger mit ansehen. Er hält Rappelkopf buchstäblich den Spiegel vor und konfrontiert ihn mit dessen wahrem Ich. Die Therapie kann beginnen, das Besserungsstück nimmt seinen magischen Lauf. (mehr zum Inhalt bei Burgtheater)

20120929 Burgtheater Alpenkönig und Menschenfeind

Regina Fritsch (Sophie), Cornelius Obonya (Herr von Rappelkopf) – © Reinhard Werner, Burgtheater

Kritiken

Die Presse (Barbara Petsch): Imposante Alpenkönig-Symphonie – Johannes Krisch und Cornelius Obonya verleihen „Alpenkönig und Menschenfeind“ neue, wilde gespenstische Dimensionen in einer fantasievollen, sublim bebilderten Inszenierung von Michael Schachermaier. … An der Sprache könnte noch gefeilt werden, es gibt einige Leerläufe, manches wirkt trotz furiosen Spiels unfertig. … Egal, das Burgtheater hat einen tollen Raimund auf die Bühne gebracht, originell, trotzdem stimmig, jung, eine der Größe, den Ressourcen des Hauses gerecht werdende „Riesenkiste“, gestemmt von souveränen Schauspielern. Das Publikum jubelte.

Kurier (Guido Tartarotti): Riesenerfolg mit Raimund „Alpenkönig und Menschenfeind“ – Der Burg gelingt ein fabelhafter Nachweis ihrer Vitalität und künstlerischen Relevanz. … Dem Burgtheater gelang eine famose, kluge, ebenso modern-harte wie komödiantisch-wienerische Aufführung. Das sah auch das Publikum so: Am Ende gab es Riesenjubel. … Der Stoff, der diese Welt im Innerste zusammenhält, sind die neu komponierten Couplets der Musikerin Eva Jantschitsch alias  Gustav. Ihre Musik erinnert gleichermaßen an Tom Waits wie an Kurt Weill, sie ist jazzig schräg gelegt, rockt aber sehr sexy. Die Texte sind nahe bei Raimund und bissig-hintersinnig. … Gespielt wird großartig. Johannes Krisch [..] ist ein großartiger, blut- und dreckbeschmierter  Berggeist mit gefährlichem Sex-Appeal, er spielt den Alpenkönig wie eine Mischung aus Mephisto, Puck und schmierig-charismatischem Leiter eines Schamanismus-Kurses im Waldviertel. Und singen kann der! … Cornelius Obonya ist ihm ein herrlicher Widerpart, komödiantisch-rasant, wienerisch bis an den Rand des Nervenzusammenbruchs, wie aus einer mutigen Nestroy-Inszenierung entlaufen. Unter den Nebendarstellern fallen Stefanie Dvorak und Johann Adam Oest als bizarres Diener-Paar auf.

Der Standard (Ronald Pohl): Auf Indianer-Therapie in den Alpen – Mit einem Strauß von Ideen hält sich Jungregisseur Michael Schachermaier Raimunds „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ vom Leib: Ein hübscher, recht nichtssagender Burgtheater-Abend … Regisseur Schachermaier fallen tausend schöne Dinge ein. Er lässt sich nur von Raimunds abgrundtiefer Verzweiflung nicht anstecken. … Hängt der unerhebliche, aber freudig beklatschte Abend, dann ist Eva Jantschitschs Musik verlässlich zur Stelle. … zwei Figuren, an denen man sich kaum sattsieht. Da ist das Stubenmädchen Lischen (Stefanie Dvorak), an dessen Mundwerk sich der alte Diener Habakuk (Johann Adam Oest) kaputtstößt. Und da ist Habakuk selbst, der, wie jedermann weiß, „zwei Jahre in Paris“ war. Rappelkopfs Zorn reizt ihn. Oest ist der wahre, kultivierte „Wilde“, in dem der Dämon der Ruhelosigkeit den Brand der Komödiantik entfacht. Feuer, das Schachermaiers Inszenierung sonst fehlt.

OÖNachrichten (Wolfgang Huber-Lang): Viel Applaus für einen wilden wie milden Alpenkönig – Der Bad Ischler Michael Schachermaier überzeugte mit seiner Neuinszenierung … Im Zentrum des zweieinhalbstündigen Abends steht Johannes Krisch als Alpenkönig Astragalus. Krisch riskierte mit seiner ungewöhnlichen Interpretation am meisten. Als Erdgeist taucht Krisch auf, zunächst geheimnisvoll bemalt, danach in Hirschblut gebadet. Er schreit wie ein Raubvogel, erinnert an einen ausgeflippten Indianer. Ihm gelingt eine faszinierende Gratwanderung, die das Dämonische unterstreicht. … Cornelius Obonya bewegt sich als Menschenfeind Rappelkopf stärker innerhalb der Rollenkonventionen. Genussvoll zelebriert er seinen Verfolgungswahn, seine Wutanfälle. … Diese stammt von „Gustav“ Eva Jantschitsch und zählt zu den eindrucksvollsten Facetten des Abends.

ORF (Sophia Felbermair): Die Therapie beim Lederhosenteufel – Regie von Michael Schachermaier, der die Gratwanderung zwischen Klamauk und Psychodrama mit Bravour meistert. … m Bühnenbild von Damian Hitz sind die Alpen zwar allgegenwärtig, doch mit rein fragmentarischen Versatzstücken nur angedeutet und jenseits jeglicher rustikaler Romantik. … Eine gute Entscheidung, wird die modern-düstere Ästhetik doch zu einer wichtigen Hülle, in der man den oft klamaukigen Text dennoch immer in seiner Abgründigkeit zu verorten mag. … Verglichen mit Krisch als Astragalus ist Obonya dennoch reichlich zurückhaltend im Aufspüren einer neuen, moderneren Rolleninterpretation – Gesten, Mimik und Sprache erinnern immer wieder auffällig an zu Klassikern gewordene Inszenierungen. … Ganz anders der Alpenkönig, der hier als im wahrsten Sinne des Wortes unfassbarer Geist zur Jagd bläst und von Krisch als eine Mischung zwischen archaischem Waldschrat und blitzgescheitem Teufel mit bitterbösem Humor gespielt wird. … Die Besetzung der Nebenrollen ist prägnant und mit Johann Adam Oest als Diener Habakuk, der bekanntlich „zwei Jahre in Paris war“, eine sichere Bank.

Kleine Zeitung (Reinhold Reiterer): Ein Psycho wird therapiert – Dem jungen Michael Schachermaier ist mit der Neuinszenierung von Ferdinand Raimunds „Alpenkönig und Menschenfeind“ ein ganz großer Wurf gelungen. … Bei dieser Produktion passt einfach alles. Damian Hitz zitierte im Bühnenbild ebenso wie die Kostümbildnerin Su Bühler Alpenländisches, aber in ironischer Gebrochenheit. Lichtbildner Friedrich Rom schafft durch sein ruhmreiches Tun zauberhafte Atmosphäre, die Hand in Hand mit Eva Jantschitschs (bekannt unter dem Künstlernamen Gustav) phänomenaler Bühnenmusik samt neuen Couplettexten geht. Krisch und Obonya greifen als Titelpaar in die Vollen: Operieren mit leisen Tönen, unbändigem Aufbrausen, Grimassieren und Zurückgenommenheit. Auf absolut gleicher Höhe Regina Fritsch als Rappelkopfs Ehefrau sowie Stefanie Dvorak als Kammermädchen Lischen und Johann Adam Oest als Bedienter Habakuk.

Wiener Zeitung (Christina Böck): Moonwalk in Lederhosen – Rappelkopf rast in der Inszenierung von Michael Schachermaier in einem Ambiente, dem die Biedermeierlichkeit bis auf Nötigste entfernt wurde. … Krisch gibt einen Alpenkönig, der wie ein enthaarter Berg-Yeti besonders urviechisch daherkommt, sich aber dann in seinem Triumph auch schon mal in eine astreine Michael-Jackson-Moonwalk-Pose wirft. Obonya wiederum ist ein Rappelkopf, der in seiner grandios falschen Selbsteinschätzung so zeitlos wie eh und je ist, sein Spiel ist aber recht traditionell – sein Großvater Attila Hörbiger hat die Rolle schon gespielt – und dazu wohltuend wienerisch. … Dafür, dass es nicht zu platt wird, sorgt die verfremdete Moritatenmusik von Eva Jantschitsch, bekannt als Elektromusikerin Gustav, die Couplets und neue Lieder vertont hat. Manch verwirrtes Blasinstrument macht in diesen Volksmusik-Versatzstücken klar, dass es hier um Wahn und Zerrissenheit geht. … Regina Fritsch ist als Rappelkopfs Frau Sophie von einer hinreißenden Widerstandsfähigkeit. … Stefanie Dvorak und Johann Adam Oest bilden als Kammermädchen Lischen und Diener Habakuk einen handfesten komödiantischen Kern.

oe24 (Wolfgang Huber-Lang): Michael Schachermaiers „Alpenköng“ überzeugte bei der Premiere – Im Zentrum des zweieinhalbstündigen Abends steht Johannes Krisch als Alpenkönig Astragalus. Er dominiert die weite, roh aus Holz gezimmerte, kantige Alpenlandschaft, die Damian Hitz als Spielfläche zur Verfügung gestellt hat. Krisch riskiert mit seiner ungewöhnlichen Interpretation an diesem Abend am meisten. … Cornelius Obonya bewegt sich als Menschenfeind Rappelkopf deutlich stärker innerhalb der Rollenkonventionen. Genussvoll zelebriert er seinen Verfolgungswahn, sein übersteigertes Misstrauen gegen die Mitmenschen, seine Wutanfälle gegenüber Verwandt- und Dienerschaft. Eine starke Leistung, mit der er zum Drehpunkt zwischen dem Wagnis des Wahnsinns und der klassisch-komödiantischen Färbung der Rappelkopf’schen Umgebung wird. … [Die Musik] stammt von „Gustav“ Eva Jantschitsch und zählt zu den eindrucksvollsten Facetten des Abends. Eine Live-Band untermalt die Auftritte des Alpenkönigs mit geheimnisvollen Geräuschen und gibt jeder Figur die Möglichkeit, sich mit einem Song vorzustellen. Die Bandbreite dabei ist erstaunlich.

Links

Ausführliche Darstellung des Inhalts und der Interpretation bei Wikipedia.

Seine Inszenierung soll dionysisch werden, erklärt Regisseur Michael Schachermaier im Gespräch mit dem Standard. Weiter: „Wir haben uns dafür entschieden, auf die fundamentale Kraft des Theaters zu setzen: auf das Behauptungsszenario. Wir haben nicht vor, den Alpenkönig auf der Bühne des Burgtheaters in ein Flugwerk zu packen und herumfliegen zu lassen. Es wird keinen Cirque du Soleil geben und keinen David Copperfield. Es soll einfach und doch groß gedacht sein.“

In der Presse betont Michael Schachermaier: „Der Menschenfeind klafft in seiner Identität. Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie Raimund 1828 lange vor Freud diese Figur getroffen hat: Der Rappelkopf ist Buchhändler und Gutsbesitzer. Er liest philosophische Bücher, die ihm „den Kopf verdrehen“, wie es im Stück heißt – und die vielleicht seine Krise ausgelöst haben neben den wirtschaftlichen Problemen, die er hat. Er hat sein ökonomisches Zentrum verloren. Beim Alpenkönig ist es schwieriger. Wir haben beschlossen, uns einfach hinzustellen und zu sagen: Ja, es gibt ihn. Er ist die Naturgewalt an sich, der letzte seiner Art, fast ein Schamane, der in den Bergen lebt. Der Alpenkönig unterzieht Rappelkopf einer psychotherapeutischen Rosskur.“

In einem ausführlichen Interview mit dem Standard sagt Cornelius Obonya: „Es ist eben ein „romantisches Zauberspiel“. Und wenn jemand das Glück hat, sich selbst erkennen zu können – durch einen Psychologen, die Ehefrau, den Alpenkönig oder wen auch immer: Dann sollte man die Chance nutzen. Das ist im Grund das, was Raimund wollte: Schau dich selber an! Und dann wirst du gar nicht anders können als zu sagen: „Ja, das ist wahr, es tut mir leid, ich muss mich ändern.“ Daher ist der Schluss sehr schön.“

Web-Site über den Dichter und Schauspieler Ferdinand Raimund. Eine Initiative von Jürgen Hein und Wolfgang Palka, unterstützt von der Raimundgesellschaft.

Gustav – Wiener Festwochen 2009 – von Manfred Werner / Tsui (Eigenes Werk) via Wikimedia Commons

Eva Jantschitsch, schreibt der Kurier, ist in der heimischen Popszene seit Jahren unter dem Namen Gustavbekannt (ihr Vater nannte sie als Kind so, da er sich ursprünglich eine Sohn gewünscht hatte).  Ihre Alben „Rettet die Wale“ und „Verlass die Stadt“ bekamen hymnische Kritiken, 2005 wurde Gustav mit dem Amadeus-Award ausgezeichnet. … Jantschitsch machte sich rasch einen Namen als Komponistin von Film- und Theatermusik. Sie komponierte für Inszenierungen bei den Festwochen, im Akademietheater, in München, in Hamburg, aber auch für die Kabarettgruppe maschek. 2011 schrieb sie für den „Faust“-Schwerpunkt der Salzburger Festspiele den Zyklus „Unterhaltungsmusik zur Suche nach Erkenntnis“, den sie gemeinsam mit Ben Becker aufführte.

Ein Blick hinter die Kulissen des künstlerischen Hochleistungsbetriebs Burgtheater am Beispiel von Ferdinand Raimunds „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ in der Wiener Zeitung.

Der Text des Stückes bei Projekt Gutenberg, auch als E-book.

Aufführung von ‚Alpenkonig und Menschenfeind‘ am Burgtheater 1964 auf DVD (Hoanzl, IMDb), mit Attila Hörbiger, Paul Hörbiger, Alma Seidler, Hugo Gottschlich u.a., Regie Rudolf Steinboeck (YouTube)